Provenienzforschung am Lindenau-Museum

Die Herkunft der eigenen Bestände zu erforschen, gehört zu den Grundaufgaben eines Museums. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse zur Biografie der Sammlungsstücke und zur Geschichte des eigenen Hauses können wertvolle Beiträge zu Publikationen, Ausstellungen und Vermittlungsangeboten liefern. Seit April 2018 wird am Lindenau-Museum sukzessiv die Provenienz verschiedener Bestandsgruppen untersucht. Ermöglicht wurden diese Recherchen zunächst durch eine Projektförderung des Deutschen Zentrum Kulturgutverluste. Seit Februar 2022 sind sie Bestandteil des von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien finanzierten Projektes Lindenau21PLUS.

Präsentation an der KUNSTWAND „Der Gaul beim Zahnarzt oder Welche Geschichten verstecken sich hinter den Bildern?“ (2022), Foto: Enrico Scholz

Im Mittelpunkt der Provenienzrecherchen am Lindenau-Museum steht die Überprüfung der Bestände auf mögliche NS-verfolgungsbedingte Entziehungen. Es gilt also, Kunstwerke zu ermitteln, deren Vorbesitzerinnen und Vorbesitzer im Nationalsozialismus verfolgt wurden. Verfolgte mussten ihr Hab und Gut häufig unter Wert veräußern, um ihr Überleben zu sichern oder ihre Ausreise zu finanzieren. Vieles wurde bei der Flucht oder Deportation zurückgelassen, ging anfangs in den Besitz des Deutschen Reiches über und gelangte schließlich auch in Museen.

In der Gemeinsamen Erklärung von 1999 haben sich Bund, Länder und Kommunen als Träger der öffentlichen Museen in Deutschland verpflichtet, in ihren Einrichtungen NS-verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter zu identifizieren, die Erben der ehemaligen Eigentümer ausfindig zu machen und gemeinsam mit ihnen nach „fairen und gerechten Lösungen“ suchen. Diese können z. B. in einer finanziellen Entschädigung, im Publikmachen der Verfolgungsgeschichte oder in der Rückgabe der Objekte bestehen. Solche Selbstverpflichtungen sind notwendig, weil durch Restitutionsgesetze, wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg in den westlichen Besatzungszonen erlassen worden waren, tatsächlich nur wenige Rückgaben erreicht wurden. In der Sowjetischen Besatzungszone und in der DDR waren Entschädigungen für Vermögensverluste während der NS-Zeit nicht vorgesehen. Das kurz vor der Wiedervereinigung erlassene Vermögensgesetz (VermG) sollte hier Abhilfe schaffen, war aufgrund der engen Fristen, in denen Ansprüche angemeldet werden mussten, aber nur begrenzt wirksam.

Mit der Projektförderung Lindenau21PLUS wurde das Aufgabenfeld der Provenienzforschung erweitert: Erstmalig werden nun auch Unrechtskontexte aus der Zeit der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR untersucht. Dazu gehören z. B. Enteignungen, die im Zusammenhang mit der Bodenreform („Schlossbergungen“) oder mit Ausreisen der Vorbesitzerinnen und Vorbesitzer („Republikflucht“) stehen.

Die Herkunftsforschung beschäftigt sich keineswegs nur mit schwierigen oder kritischen Fällen, im Gegenteil: Bei der Mehrzahl der Kunstwerke können Provenienzen geklärt und als unbedenklich eingestuft werden. Die Rekonstruktion der Objektbiografien dient auch dem kunst- und kulturhistorischen Erkenntnisgewinn: Im Zuge der Provenienzrecherchen konnten z. B. Datierungen ermittelt, Dargestelltes identifiziert, Werkzusammenhänge erkannt sowie das ein oder andere interessante Detail aus dem Leben der Künstlerinnen und Künstler in Erfahrung gebracht werden.

Projekttag mit der Klasse 10c des Friedrich-Gymnasiums Altenburg (2019), Foto: Jacqueline Glück

Seit 2018 wird durch die Provenienzforschung am Lindenau-Museum viel bewegt: Ein NS-verfolgungsbedingt entzogenes Gemälde konnte an die Erben restituiert und der Verbleib einer archäologischen Sammlung im Museum gesichert werden. Es ist uns ein besonderes Anliegen, unsere Forschungen für das Museumspublikum erlebbar zu machen: So entstanden verschiedene Vermittlungsformate für Kinder und Erwachsene, wie z. B. eine Familienwerkstatt zur Provenienzforschung mit dem Titel „Auf den Hund gekommen“. Ergebnisse wurden in Vorträgen, Führungen und Aufsätzen sowie bei zwei Präsentationen an der KUNSTWAND öffentlich gemacht. Im Dezember 2023 erschien mit dem Buch „Kunst von Kühl. Erwerbungen aus einer Dresdner Galerie“ die erste Publikation, die ausschließlich der Herkunft von Kunstwerken im Lindenau-Museum gewidmet ist.

Provenienzforschung gelingt am besten durch die Zusammenarbeit vieler. Wenn Sie Fragen oder Hinweise zur Herkunft von Kunstwerken aus dem Lindenau-Museum haben, wenden Sie sich gern an:

Sarah Kinzel:
kinzel@lindenau-museum.de

Marianne Lose:
lose@lindenau-museum.de

Wir freuen uns über Ihre Kontaktaufnahme.

Foto-Podcast zum Tag der Provenienzforschung 2024

Ab wann ist ein Mann ein Mann? - Das Gemälde „Atelier mit Arbeiterknaben“ von Otto Dix und sein Weg ins Lindenau-Museum

In einem Fotopodcast zu dem 1914 entstandenen Gemälde „Atelier mit Arbeiterknaben“ von Otto Dix gehen die Provenienzforscherinnen des Lindenau-Museums der Frage nach, ob es sich bei dem Dargestellten dem Titel zum Trotz um einen Mann handeln könnte. Sie nehmen die Zuhörerinnen und Zuhörer mit auf eine imaginäre Reise ins Deutschland der Nachkriegszeit, erkunden die Kostümgeschichte der Unterhose und kommen auf diese Weise der Herkunft des Bildes auf die Spur.