Jenseits von Florenz und Siena

Bestandskataloge zur Malerei aus Mittel- und Oberitalien

Neben den florentinischen und sienesischen Tafeln der frühen Renaissance zählt die Sammlung des Lindenau-Museums zahlreiche weitere außergewöhnliche Werke frühitalienischer Malerei aus anderen Schulen. Diese wurden von den Kunsthistorikern Dr. Wiebke Fastenrath Vinattieri (Werke aus Mittelitalien) und Dr. Tobias Ertel (Werke aus Oberitalien) eingehend erforscht und in Bestandskatalogen erfasst. Dazu entstanden zu jeder Tafel technologische Untersuchungen, die ebenfalls publiziert werden sollen. Unter den untersuchten und teilweise neu zugeschriebenen Werken ragen u. a. Tafeln von Perugino, Pinturicchio und Signorelli heraus. Die Arbeit an den Bestandskatalogen wurde durch die Ernst von Siemens Kunststiftung und die Fritz Thyssen Stiftung ermöglicht. Die Ergebnisse dieser Forschungen sollen nun im Rahmen des von der Bundesrepublik Deutschland geförderten Projekts Lindenau21PLUS zunächst digital auf der Website des Museums veröffentlicht werden, um insbesondere Neuzuschreibungen mit einem internationalen Publikum zu diskutieren. Erst nach Abschluss dieses Kommunikationsprozesses sollen die beiden Kataloge gedruckt werden.

Besides early Renaissance panels from Florence and Siena, the Lindenau-Museum’s collection includes many other remarkable works of early Italian painting made by other schools. These have been researched in detail by art historians Dr Wiebke Fastenrath Vinattieri (focusses on Central Italy) and Dr Tobias Ertel (focusses on Northern Italy) and listed in inventory catalogues. In addition, the technological studies that have been carried out on each panel will also be published. The works that have been examined have, in some cases, been re-attributed. Prominent among them are panels by Perugino, Pinturicchio and Signorelli. The work on the inventory catalogues was made possible by the Ernst von Siemens Kunststiftung and the Fritz Thyssen Foundation. The results of this research are to be published, initially in digital form on the museum’s website, as part of the government-funded Lindenau21PLUS project. One of the key aims here is to launch a debate with an international audience to discuss the new attributions. The two catalogues will only be printed once this discussion has reached a conclusion.

Bestandskatalog „Mittelitalien: Umbrien, Marken, Latium“

Mit diesem Band wird von Dr. Wiebke Fastenrath Vinattieri (Florenz) der außerhalb Italiens bedeutende und für Deutschland singuläre Bestand aus den Regionen Umbrien, Marken und Latium vorgelegt. Ziel des 46 Tafelbilder umfassenden Forschungsprojektes war einerseits, die häufig fehlenden Künstlernamen zu ermitteln und die Provenienzen der Bilder zu verfolgen. Andererseits sollten die in diesem Sammlungsteil reichlich vertretenen Stücke einstiger Altarwerke sowie Bildtafeln aus einer Raumausstattung eines italienischen Palazzo kontextualisiert und rekonstruiert werden. Hierzu waren Archivrecherchen, ikonografische und komparative Studien sowie gemäldetechnische Analysen erforderlich.

Viele der Werke erhielten erstmals konkrete Zuschreibungen. Unter den Madonnenbildern ließ sich manche Besonderheit aufspüren, so erwies sich u. a. eine Bildtafel als Teil eines Altars, dem weitere Stücke zugewiesen werden konnten. Die Ergebnisse zum Andachtsbild Giovanni Santis, zu zwei Standflügeln Pietro Peruginos sowie zu Luca Signorellis fünfteiliger Predella, die zugleich die einzige vollständige in der Sammlung ist, wurden bereits in Ausstellungen präsentiert. Die Erforschung der Perugino-Tafeln lieferte die Grundlage für eine gänzlich neue Rekonstruktion des ehemaligen Hochaltars der Kirche Santissima Annunziata in Florenz; die Predella Signorellis konnte erstmals einem Altar in den Marken zugeordnet werden.

Erweiterte methodische Zugänge führten auch zu neuen Ergebnissen hinsichtlich des Aufbaus von Piermatteo d’Amelias Hochaltar der Kirche Sant’Agostino in Orvieto. Zwei Seitentafeln dieses eindrucksvollen Hauptwerkes der umbrischen Frührenaissance werden im Lindenau-Museum verwahrt. Ferner konnten für vier Altarflügel eines im Werkstattverbund mit Piermatteo d’Amelia tätigen Meisters die Haupttafel und der Herkunftsort des ehemaligen Altarwerks ermittelt werden. Erstaunliche Ergebnisse förderten überdies die umfangreichen Recherchen zu den acht mit Grotesken bemalten Tafeln einer Raumausstattung zutage: Dank neu aufgefundener Dokumente und Zeichnungen lassen sich Herkunftsort, Auftraggeber und Künstler nachweisen sowie das außerordentlich bemerkenswerte ikonografische Programm entschlüsseln.

Abb.
Piermatteo d’Amelia, Hl. Maria Magdalena oder Johannes der Täufer,
120,5 x 42,5 cm und 121 x 43 cm, Tempera auf Pappelholz, Lindenau-Museum Altenburg, Inv.-Nr. 110, Foto: Bernd Sinterhauf

Inventory catalogue – ‘Central Italy: Umbria, the Marches, Lazio’

This volume lists the holdings from the regions of Umbria, the Marches and Lazio. These works – presented by Dr Wiebke Fastenrath Vinattieri (Florence) – are important outside Italy and unique within Germany. The research project, which covers 46 panel paintings, had a dual purpose: on the one hand, it endeavoured to determine the names of the artist in each case, which were often missing, and to trace the provenances of the paintings; on the other, it set out to contextualise and reconstruct the fragments of former altarpieces, of which there are an abundance in this part of the collection, as well as painted panels that decorated the interior of an Italian palazzo. This relied on archival research, iconographic studies and comparative evaluations coupled with technical analyses of the paintings.

Many of the works were accorded concrete attributions for the first time. Various oddities were unearthed among the Madonna paintings, including one panel that turned out to be part of an altar to which other fragments could be assigned. The findings relating to Giovanni Santi’s devotional image, to two side wings by Pietro Perugino and to Luca Signorelli’s five-part predella – which is also the only complete work of its kind in the collection – have been shown in previous exhibitions. Research into the Perugino panels formed the basis for a completely new reconstruction of the old high altar from the Santissima Annunziata church in Florence, and for the first time it was possible to provide an attribution for Signorelli’s predella, which was assigned to an altar in the Marches.

Enhanced methodological approaches also led to new findings with regard to the construction of Piermatteo d’Amelia’s high altar in the church of Sant’Agostino in Orvieto. Two side panels of this impressive piece, a key work in the early Renaissance in Umbria, are held in the Lindenau-Museum. In the case of four altar wings by a master who had been part of a workshop group with Piermatteo d’Amelia, it was also possible to determine the main panel of the former altarpiece and the place it was produced. Moreover, astonishing results emerged from the extensive research conducted on the eight panels painted with grotesques that had served as interior decoration: newly discovered documents and drawings allowed the work’s place of origin to be verified, while also establishing the identity of the artist and the person who had commissioned the painting and revealing the hidden meaning of the quite remarkable iconographic programme.

Fig.
Piermatteo d’Amelia, St Mary Magdalene or St John the Baptist,
120.5 × 42.5 cm and 121 × 43 cm, tempera on poplar wood, Lindenau-Museum Altenburg, inv. no. 110; photo: Bernd Sinterhauf

Bestandskatalog „Oberitalien, Neapel und Flandern“

Dr. Tobias Ertel (Gera) hat sich mit den Beständen aus Oberitalien, Neapel und Flandern befasst. Der Katalog bietet nicht allein einen konzisen Überblick über die vom aktuellen Forschungsstand ausgehende fachwissenschaftliche Diskussion. Durch Archivrecherchen und kunsttechnologische Untersuchungen wird vielmehr eine umfassende Neubewertung dieser zuvor kaum erforschten Bestandsgruppe vorgenommen.

Die Ergebnisse zu Fragen der Zuschreibung, Datierung, Ikonografie und Provenienz der Bildtafeln sind damit ein eminent wichtiger Beitrag, der eine Lücke in der Sammlungsdokumentation des Museums schließt. So wird das künstlerische Profil der in Deutschland nahezu unbekannten Kleinmeister nun erstmals klarer umrissen. Ein Drittel der insgesamt 30 überwiegend im Depot verwahrten Gemälde wurde dabei entweder neu zugeschrieben oder überhaupt erstmals mit einem konkreten Namen versehen. Bedeutsam ist dies insofern, als bislang manche Tafel lediglich unter einem Notnamen firmierte oder aber gänzlich unbeachtet blieb. Überdies sind insgesamt sechs von Lindenau noch als Werke italienischer Meister erworbene Stücke tatsächlich aber nach Flandern zu lokalisieren.

Auch die übrigen Fragenkomplexe ließen sich vielfach korrigieren oder präzisieren. Ein besonders eindrückliches Beispiel ist die „Madonna del Silenzio“ vom „Michelangelo riformato“ Pellegrino Tibaldi (1527–1596). Sie markiert das vielleicht früheste erhaltene Werk des Malers und zeichnet sich durch die illustre Provenienz aus der einst reichen und berühmten Sammlung Orléans in Paris aus, was Tibaldis Œuvre nun in ein vollkommen neues Licht rückt. Zwar handelt es sich bei den untersuchten Werken vornehmlich um handliche, zur bildgeleiteten Gebetsmeditation genutzte Bildtafeln. Doch sind auch einige Altarfragmente überliefert, für die alternative Rekonstruktionen vorgeschlagen werden konnten. Somit werden neue Perspektiven auf das Lindenau-Museum Altenburg als eines der weltweit bedeutendsten und führenden Spezialmuseen zur Malerei im Italien des 13. bis 16. Jahrhunderts eröffnet.

Abb.
Ansuino da Forlì, Heilige Familie mit Stifterin, 52,5 x 32 cm, Tempera auf Holz, Lindenau-Museum Altenburg, Inv.-Nr. 156, Foto: Bernd Sinterhauf

Inventory catalogue – ‘Northern Italy, Naples and Flanders’

Dr Tobias Ertel (Gera) focuses on the holdings from Northern Italy, Naples and Flanders. The catalogue provides a concise overview of the discussion among specialist scholars prompted by the current state of research. Making use of archival research and technological approaches to studying art, it undertakes a comprehensive re-evaluation of this group of holdings, which have hitherto been largely unexamined.

The findings relating to the attribution, dating, iconography and provenance of the panels are thus extremely important and help fill gaps in the documentation of the museum’s collection. It is now possible for the first time to more clearly define the artistic profile of minor masters, who are virtually unknown in Germany. A third of the 30 paintings, most of which are kept in storage, have either been re-attributed or supplied with a specific title for the first time. This is significant because in the past many panels had only had provisional names or had been completely neglected. Moreover, a total of six pieces acquired by Lindenau when they were still considered to be works by Italian masters actually came from Flanders.

In other areas where questions remained, corrections could also be made in many cases and more precise information established. A particularly impressive example is the ‘Madonna del Silenzio’ by the ‘Michelangelo riformato’, Pellegrino Tibaldi (1527–1596). It may represent the painter’s earliest surviving work and is notable for its illustrious provenance, having belonged to the once rich and famous Orléans Collection in Paris, which casts Tibaldi’s oeuvre in a completely new light. Although the works that have been examined are primarily panels that could be conveniently used in image-guided meditative prayer, it was also possible to suggest alternative reconstructions for some of the surviving altar fragments. This allows us to view the Lindenau-Museum Altenburg in a new light as an institution of major global significance whose specialist focus on Italian painting from the 13th to the 16th century makes it one of the leading museums of its kind in the world.

Fig.
Ansuino da Forlì, Holy Family with Donor, 52.5 × 32 cm, tempera on wood, Lindenau Museum Altenburg, inv. no. 156; photo: Bernd Sinterhauf

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