Appell an die Sinne
Elfeinhalb Wochen Kunstvermittlung mit Werken von herman de vries
Mit Beginn des Jahres 2020 haben wir neben der ständigen Präsentation auch die Sonderausstellungen geschlossen, um das Museum für die mehrjährigen Sanierungsarbeiten vorzubereiten. Damit ist natürlich auch die Gerhard-Altenbourg-Preisträgerausstellung 2019 mit herman de vries zu Ende. Also werden nun de vries‘ Bilder, Hölzer, Knochen, Steine, Muscheln und Rosenknospen wieder sorgfältig verpackt und verlassen Stück für Stück das Lindenau-Museum.
Zwei Werke reisen im Anschluss weiter nach Berlin in das Georg Kolbe Museum. Dort werden im Rahmen der Ausstellung herman de vries. how green is the grass? die Arbeiten rasenstück coll.: lindgehrn (2016) und die steine / the stones from the province of león (2017) ab dem 27. Januar 2020 zu sehen sein. Während also die nächste Schau mit herman de vries‘ höchst aktuellen Werken gerade vorbereitet wird, können wir auf intensive Wochen mit einer einzigartigen Ausstellung zurückblicken, die ein Genuss für die Sinne und den Intellekt war.
Bei Ausstellungsführungen haben wir die Besucherinnen und Besucher häufig im Vorraum der Sonderausstellung gesammelt und sie gefragt, ob sie einen besonderen Sinneseindruck wahrnähmen. Sehr zuverlässig erhielten wir die Rückmeldung, es sei ein gewisser Duft im Raum, der an manchen Tagen mit Honig, an anderen mit Tee und in den meisten Fällen mit Blumen assoziiert wurde. In der Tat bildete die berühmte Bodeninstallation rosa damascena aus 108 Pfund getrockneten Rosenblüten das Herzstück der Ausstellung. Diese Arbeit, die herman de vries seit 1984 in Ausstellungen präsentiert, besticht eben nicht nur aufgrund ihrer Eleganz sondern besonders durch ihren betörenden Duft. Ähnlich wie die Blüten, während sie trocknen, langsam ihre Farbe verändern, entwickelt sich auch der Duft der Rosen im Ausstellungsraum. Als wir die Installation Anfang Oktober 2019 aufbauten, also die Rosenknospen ausbrachten, umgab der Duft zunächst uns, um bald den ganzen Raum zu erfüllen. Mit der Zeit wurde der Duft sanfter und nahm zum Ende der Ausstellung merklich ab, war jedoch nach wie vor omnipräsent.
Ein wichtiger Aspekt dieses Werks und herman de vries‘ Œuvre insgesamt ist die Vergänglichkeit. Es geht ihm jedoch nicht darum, angesichts eines flüchtigen Geruchs oder einer trocknenden Rosenblüte, die eigene Sterblichkeit zu reflektieren sondern vielmehr darum, zu erkennen, dass alles – ob wir wollen oder nicht – im Werden und Vergehen begriffen ist und sich gerade in dem Prozesshaften oder Transitorischen vielschichtige und überwältigende Schönheit findet. Ein ebenso zentraler Aspekt für herman de vries ist der Zufall, den er seit den frühen 1960er Jahren mit unterschiedlichen Mitteln im Bild zu bannen versucht. Mit vaccinium hat er in Altenburg nicht nur 27 unterschiedliche Heidelbeersorten anhand ihrer Blätter präsentiert, sondern zeigte uns mit dieser Arbeit auch eindrücklich, dass sich, egal wie viele Blätter wir von einer Pflanze pflücken, sich keine zwei identischen darunter finden werden.
de vries Werke regen zum reflektierenden Betrachten an und präsentieren uns eine Art, die Umgebung wahrzunehmen, zu respektieren und wertzuschätzen, die angesichts eines sich wandelnden Klimas höchst aktuell und in gewisser Weise heilsam ist. Denn er konfrontiert uns nicht mit Schreckensbildern der Zerstörung, sondern deutet mit behutsamen Fingerzeigen auf den Reichtum der Pflanzen- und Tierwelt hin.
Genau an dieser Stelle setzte auch unser Vermittlungsprogramm zur Ausstellung an. Das reflektierende Betrachten war Ausgangspunkt für viele Rundgänge und Gespräche mit Schulklassen, Kindern, aber auch mit Erwachsenen und Familien. Fehlen durften bei diesen Streifzügen weder Lupe noch UV-Lampe, um auch die winzigsten und unscheinbarsten Details entdecken zu können. Denn neben den Rosenknospen gab es weitere Kunstwerke, die die Besucherinnen und Besucher unmittelbar ansprachen. Geht man davon aus, dass Kinder und Erwachsene in ihrer Freizeit und auf Spaziergängen Steine, Muscheln oder Holz sammeln, verwundert es nicht, dass die ausgestellten Tierknochen der Bodeninstallation in transit zu fantastischen Hirngespinsten anregten. Dazu zählten immer wieder Reisen in die Welt der Dinosaurier. Auch die raumgreifende Installation die steine / the stones from the province of león sorgte im Sinne von herman de vries für „poetische Momente“, weil die Maserung und Oberfläche einzelner Steine Assoziationen hervorrief. Die Auswahl eines Lieblingssteines fiel allerdings oft schwer.
Häufig waren die Werke von herman de vries der Einstieg für komplexere Betrachtungen der Vorgänge in der Natur. Wer noch nicht genug bekommen hatte und sich auch für historische Sichtweisen interessierte, konnte gleich im Anschluss ein Stockwerk höher mit Alexander von Humboldt und Bernhard August von Lindenau auf Entdeckungsreise gehen. In der Ausstellung „humboldt4 - Altenburg und die Welt“ zeugten seltene, ausgestopfte Tiere und detailreiche Grafiken von Vulkanen und Landschaften von einem ebenso faszinierten und begeisterten Blick auf den Reichtum der Pflanzen- und Tierwelt in Südamerika. „Poetische Momente“ erlebte man auch in der Sammlung der Italienischen Tafelmalerei, wo Pigmente und Erden wie auch bei herman de vries ein Instrument der Kommunikation mit dem Betrachter sind. Vertieft haben wir diese Erlebnisse mit Schülergruppen und Familien beim Nachempfinden einer speziellen künstlerischen Technik, die herman de vries erdausreibung nennt. Wir nutzten allerdings keine Erde sondern unterschiedliche Gewürze. So erinnern wir uns gern an Zimt, Curry, Kurkuma und Co., die wir mit den Fingern auf Papier rieben, so dass ein Farbfeld entstand, während der Duft wie zuvor der Geruch der Rosenknospen unsere Sinne umspielte.
Es war erstaunlich, wie schnell junge und ältere Besuchergruppen Zugang zu den Objekten der Ausstellung fanden. Letztlich bot die Ausstellung die einmalige Gelegenheit, auf ungewöhnliche Art und Weise etwas mehr über sich selbst, die Welt und seine eigene Haltung gegenüber dem, was alle umgibt, zu erfahren.
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