Ein Altenburger in Europa
Bernhard August von Lindenaus astronomisches Netzwerk
Die Verdienste Bernhard August von Lindenaus um die Staatsorganisation in Thüringen und Sachsen und vor allem seine bedeutende Kunstsammlung sind weithin bekannt. Seine Verdienste als Wissenschaftler harren jedoch einer Würdigung. Das war im 19. Jahrhundert ganz anders, denn bereits 1813 erhielt der Altenburger für seine Verdienste um die Aufstellung der Planetentafeln den renommierten Lalande-Preis der Académie des sciences des Institut de France.
Ein Beitrag zur Blogparade #SalonEuropa des Museum Burg Posterstein.
Danach baute Lindenau sein europäisches Netzwerk schrittweise auf höchsten Niveau aus. Wichtigster Ausdruck der Anerkennung und beste Möglichkeit der Teilhabe am europäischen Wissensaustausch war die Mitgliedschaft in den bedeutenden Akademien.
Als die Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften am 6. Dezember 1827 beschloss, Bernhard August von Lindenau als Ehrenmitglied in ihre Reihen aufzunehmen, befanden sich unter denen, die der Wahl zustimmten, solch berühmte Mitglieder wie Alexander und Wilhelm von Humboldt, Hinrich Lichtenstein oder Heinrich Wilhelm Olbers (1758–1840) und unter denen, die gleichfalls zur Wahl standen Carl Gustav Carus, Dominique-François-Jean Arago oder André-Marie Ampère.
Vorangegangen waren die Aufnahmen in die Göttinger Akademie (1810), die Pariser Académie des Sciences (1817) und die Hallesche Leopoldina (1820). 1832 folgte die Aufnahme in die Royal Astronomical Society of London, 1833 in die Royal Society of London, in die Akademie der Wissenschaften in Palermo, 1835 in die Königliche Akademie in Kopenhagen und schließlich 1840 in die Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg. 1832 ehrte der Dänische König Frederik VI. Lindenau mit einem außergewöhnlichen Geschenk. Für seine Verdienste um die Astronomie erhielt er ein goldenes, von Jurgensen und Kessels hergestelltes Chronometer. Gleichzeitig mit ihm geehrt wurden berühmte Männer wie Müffling, Krusenstern und Alexander von Humboldt.
Die Ehrendoktorwürden der Universitäten Jena und Leipzig wurden Lindenau 1824 bzw. 1837 verliehen. Lindenau selbst kümmerte sich um die Ehrung seines Astronomenfreundes Olbers in Bremen zu dessen 50jährigen Doktorjubiläum. Gemeinsam mit Zach ließ er dem Jublilar eine goldene Medaille prägen. Die astronomische Welt schätzt Bernhard August von Lindenau bis heute. Seit 1935 trägt der Mondkrater mit den Koordinaten 32° 18’ S/ 24° 54’ O seinen Namen und der Asteroid mit der Nummer 9322 wird Lindenau genannt.
Der Weg zu den Erfolgen als Wissenschaftler begann in Leipzig. Als 1793 Johann August von Lindenau (1749–1817) seine beiden Söhne August Friedrich (1778–1808) und Bernhard August (1779–1854) an die renommierte Alma Mater Lipsiensis schickte, war Bernhard gerade einmal 14 Jahre alt. Jura und Cameralwesen galt es zu studieren, um auf eine Laufbahn im höheren Beamtendienst vorbereitet zu sein. Mehr als es für Haushaltsrechnungen notwendig gewesen wäre, interessierte sich der jüngere der beiden Studenten für Mathematik. Fruchtbare Unterweisungen erhielt er durch einen der bedeutendsten Physiker und Mathematiker des ausgehenden 18. Jahrhunderts, Carl Friedrich Hindenburg (1741–1808). Bernhard von Lindenau beherrschte bei seinem erfolgreichen Abgang von der Universität neben den fachlichen Voraussetzungen auch hervorragend Latein und Französisch. Nach Altenburg zurückgekehrt, trat er, dem Willen des Vaters und der Familientradition folgend, in den Staatsdienst ein. Die Position eines Assessors bei der Altenburger Kammer versprach nicht nur Einblick in die Finanzen des Altenburger Landesteiles, sondern auch in das Berg- und Hüttenwesen, die Bau- und Postverwaltung und das Münzwesen. Sie ließ ihm offenbar so viel Freizeit, dass er astronomische Studien beginnen konnte. Dabei stand Lindenau der als Pensionär in Altenburg lebende Georg Gottlieb Leberecht von Hardenberg (1732–1822), Amateurastronom und ehemaliger Oberstallmeister von Herzog Ernst II., zur Seite. Allgemein erfreute sich die Astronomie in jener Zeit großer Beliebtheit. Schließlich hatte 1781 der Engländer William Herschel (1738–1822) mit der Entdeckung des Uranus Keplers Vermutung der Existenz eines weiteren Planeten zwischen Mars und Jupiter bestätigt und ein breites öffentliches Interesse an allen neuen Erkenntnissen ausgelöst. Zudem bestand eine hohe Nachfrage nach präzisen geographischen Ortsbestimmungen, die wiederum eine exaktere Bestimmung des jeweiligen Landesterritoriums und die Bemessung der Landessteuern erlaubten.
Im Herzogtum Sachsen-Gotha und Altenburg war das Interesse an astronomischen Fragen noch größer, denn hier befand sich seit 1791 auf dem Seeberg, nahe Gotha, eine gut ausgestattete Sternwarte. Bereits in der letzten Dekade des 18. Jahrhunderts hatte der von Herzog Ernst II. (1745–1804) zum Leiter der Sternwarte berufene Franz Xaver von Zach (1754–1831) die Gothaer Einrichtung zu einer wahren Drehscheibe der europäischen Astronomie entwickelt. Modernste Beobachtungsgeräte und die Toleranz des Landesherren zogen bedeutende Wissenschaftler an. So organisierte Zach im August 1798 den ersten europäischen Astronomenkongress und korrespondierte mit allen namhaften Wissenschaftlern seiner Zunft.
Auch Lindenau ließ sich von diesem allgemeinen Interesse inspirieren. Sein astronomischer Erstling „Abhandlung über die Dimensionen des Erdphäroids“ entstand 1801. Ob es diese Schrift war oder die Vermittlung Hardenbergs, die Herzog Ernst II. und Zach auf die astronomischen Fähigkeiten des jungen Altenburgers aufmerksam machten, ist nicht bekannt. Auf jeden Fall wurde Lindenau kurz nach seiner Ernennung zum Kammerrat 1801 vom unmittelbaren Staatsdienst beurlaubt, um als Zachs Assistent so oft wie möglich auf dem Seeberg weilen zu können. Dieser für Lindenaus weiteres Leben wichtige Schritt ließ sich vor allem deshalb realisieren, weil sein oberster Dienstherr selbst der Wissenschaft frönte und die Astronomie die entscheidende Grundlage für die staatspolitisch notwendige Landvermessung bildete. Schließlich wurde Zach 1803 vom preußischen König Friedrich Wilhelm III. (1770–1840) mit der Gradmessung in Preußen beauftragt. An dem Projekt beteiligte sich Herzog Ernst II. persönlich, weshalb die Arbeiten wohl auch mit seinem Tod 1804 zum Erliegen kamen. Der junge Lindenau wurde von Zach in die Vermessungsarbeiten genau so schnell eingeführt wie in die praktische Himmelsbeobachtung und die weitere Bearbeitung der Ergebnisse bis hin zur Publikation.
Auf dem Seeberg
Aus seiner Privatschatulle bezahlte Herzog Ernst II. den Bau einer Sternwarte auf dem östlich von Gotha gelegenen Kleinen Seeberg. Von hier aus hatte man freie Sicht in alle Himmelsrichtungen bis zum Horizont. Der astronomischen Beobachtung dienten vier Räume, einer mit dem Hauptinstrument, ein sogenanntes Passageinstrument von Jesse Ramsden (1735–1800), einer für den Zenitsektor und zwei für Mauerquadranten. Das Leben auf der Sternwarte unterschied sich wohl wesentlich von der durch genaue Ordnungen und Hierarchien bestimmten Etikette bei Hof. Es entbehrte zwar der meisten Bequemlichkeiten, ermöglichte stattdessen aber die uneingeschränkte Hinwendung zur Wissenschaft. Kein Leiter einer Sternwarte kam ohne einen Gehilfen aus, der die Ergebnisse weiter verarbeitete, also rechnete, und ihn bei der Beobachtung ablösen konnte. Diesen fand Zach zunächst in Johann Carl Burckhardt (1773–1825) und schließlich in Bernhard von Lindenau.
Die Kommunikation mit dem als exzentrisch bekannten Zach muss für Lindenau eine große Herausforderung gewesen sein. Er meisterte sie, weil Streitsucht seinem Wesen vollkommen fremd war. Auf jeden Fall prägten die wenigen gemeinsamen Jahre mit Zach Lindenaus Lebensweg entscheidend. Noch nach Ende der Studienzeit sahen sich die Eltern Lindenaus veranlasst, ihn und seinen Bruder, ob ihrer Neigung zu Spiel und ausschweifender Unterhaltung, streng zu überwachen. Astronomische Beobachtungen dagegen erforderten genauste Abstimmung und Zuverlässigkeit. In dieser Atmosphäre wurde das Verhältnis des Meisters zu seinem Gehilfen ein väterliches, das Bestand hatte bis zu Zachs Tod 1831.
1804 starb Herzog Ernst II. und Zach verließ Gotha gemeinsam mit der Witwe des Herzogs Charlotte Amalie (1751–1827). Die Leitung der Sternwarte übertrug er Lindenau. Der Tod des Förderers und die Wirren der napoleonischen Kriege beeinträchtigten das Leben auf dem Seeberg sehr. Zwar hielt Herzog August (1772–1822) gemäß dem Testament seines Vaters und in Erwartung weiterer wichtiger Ergebnisse für die Landvermessung, die Arbeitsfähigkeit der Sternwarte aufrecht und ließ Lindenau seinen Platz auf dem Seeberg behalten, aber die Ausschließlichkeit der Konzentration seines begabten Kammerherrn auf die Astronomie wollte er nicht hinnehmen. 1807 berichtete Lindenau Alexander von Humboldt (1769–1859): „Der Seeberg ist eingerissen, um hoffentlich aus seinen Ruinen sich wieder zu erheben. Meine Verhältnisse bestimmen mich daher, jetzt Altenburg wieder zu meinem Aufenthalt zu machen“ (Staatsbibliothek Berlin, Nachlass Alexander von Humboldt ; Kasten 5, Nr. 35) Die Instrumente wurden eiligst ins Schloss gebracht und erst im August 1808 wieder aufgestellt. Zudem beorderte der Herzog seinen Astronomen im gleichen Jahr als Landschaftsdeputierten nach Altenburg. Dass es Lindenau gelungen ist, angesichts der Kriegsereignisse und der veränderten Prioritäten nicht nur die Sternwarte am Leben zu halten, sondern auch die von Zach begonnene „Monatliche Correspondenz zur Beförderung der Erd- und Himmelskunde“ bis 1813 weiterzuführen, ist in erster Linie seinem inzwischen gewonnenen hervorragenden Gesamtüberblick über die Astronomie, seinem unermüdlichen Arbeitseifer und der unterdessen erlangten guten Kontakte zu verdanken.
Europäisches Netzwerk
Um die für die Entwicklung der Wissenschaft unentbehrliche Publikation „Monatliche Correspondenz“ am Leben zu halten, bedurfte es des ständigen Kontaktes mit den übrigen europäischen Sternwarten. Genauso wichtig wie die schriftliche Verbindung waren dafür die unmittelbare Anwesenheit der Kollegen und die praktische Zusammenarbeit mit ihnen auf dem Seeberg. Die mehrwöchigen Besuche der berühmten Astronomen Carl Friedrich Gauß (1777–1855), Heinrich Christian Schumacher (1780–1850), Heinrich Wilhelm Olbers, Johann Elert Bode (1747–1826), Christian Ludwig Gerling (1788–1864), Friedrich Wilhelm Bessel (1784–1846) und Friedrich Georg Struve (1793–1864), die langjährige unmittelbare Zusammenarbeit mit Friedrich Nicolai (1793–1846) und Johann Franz Encke (1791–1865) und die Gegenbesuche auf den verschiedenen Sternwarten führten zu einem wahren astronomischen Netzwerk, das bis an Lindenaus Lebensende hielt. Mit seinen engsten Vertrauten Bessel, Gauß, Schumacher und Encke tauschte Lindenau persönliche Dinge aus, die sonst höchstens im Briefwechsel mit Hans Carl Leopold von der Gabelentz (1778–1831) zu finden sind.
Das Netzwerk der wissenschaftlichen Kontakte fand entscheidende Erweiterung während Lindenaus erstem Parisaufenthalt 1812. Er traf dort u. a. auf Alexander von Humboldt, dessen Leistungen er zeitlebens aufs höchste schätzte, und auf die maßgeblichen Pariser Wissenschaftler Jean-Baptiste Joseph Delambre (1749–1822), Johan Carl Burckhardt (1773–1825) und Pierre-Simon de Laplace (1749–1827). Allein viermal nahm er teil an den Sitzungen im Bureau des Longitudes. Seinem Gothaer Freund Friedrich Christian Kries (1768–1849) berichtete er ausführlich über die Reise „...die Abende das heißt von 10-1 verbringe ich allmal, entweder bei La Place oder bei Delambre oder bei der Gräfin Rumfort [Marie Anne Pierette Comtesse de Rumford, 1758–1836, Saloniere] zu, wo ich sicher bin jedesmal meinem Geist sehr interessante Menschen zu finden.“ (ThStAA, Familienarchiv v. Lindenau, Nr. 16, Bl. 35f, B. v. Lindenau an Prof. Kries, Gotha, Paris, 23.3.1812)
Aus Mailand erwähnte Lindenau später: „In Oriani habe ich einen trefflichen Mann gefunden, das wahre Seitenstück zu Olbers. Ich wollte, daß sie beide kannten. Was wollte ich darum geben, wenn ich mit Gauß, Olbers, Bessel, Oriani, Poisson u. Arago vereinigt an einem Ort leben könnte.“ (ThStAA, Familienarchiv Lindenau, Nr. 16, Bl. 37f, B. v. Lindenau an Prof. Kries, Gotha, Mailand, 2.8.1812)
Immer ging es auch darum, Autoren für Beiträge in der „Monatlichen Correspondenz“
zu gewinnen. Lindenau bearbeitete die Ausgaben der Zeitschrift nicht nur redaktionell, sondern steuerte auch regelmäßig eigene Aufsätze bei. Besondere Aufmerksamkeit erlangten jedoch seine Publikationen der Barometrischen Tafeln (1810), der Venustafeln (1810), der Marstafeln (1811) und der Merkurtafeln (1816). Die Sterntafeln dienten vor allem Seeleuten zur Orientierung. Seine nach langer Zeit erste, noch während der Dresdner Dienstzeit verfasste Arbeit: „Versuch einer neuen Bestimmung der Nutations- und Aberrations-Constanten aus beobachteten Geraden - Aufsteigungen des Polaris“ sandte Lindenau in die Berliner Akademie ein. 1849 folgte dann die Geschichte der Neptunentdeckung.
Abschied von der Astronomie?
Als Herzog August seinen Kammerherrn am 17. Februar 1817 zunächst für ein Jahr von der Direktion der Sternwarte beurlaubte und an die Kammer nach Altenburg beorderte, ahnte Lindenau schon, dass es schwierig sein würde, beide Aufgaben gleichzeitig auszufüllen. Noch drei Jahre lang versuchte er Minister und Wissenschaftler zu sein. Als Direktor der Sternwarte wurde 1822 zunächst Encke und dann der dänische Astronom Peter Andreas Hansen (1795–1874) eingesetzt.
Noch vor dem Ausscheiden aus dem sächsischen Staatsdienst begann Lindenau bereits 1841 erneut mit astronomischen Veröffentlichungen. Sofort nahm er den Briefwechsel mit den Astronomen wieder auf und arbeitete an einer Geschichte der Astronomie. An eigene Beobachtungen war bald nicht mehr zu denken, weil die Sehkraft nachließ. Stattdessen verlegte er sich auf barometrische Messungen. In Altenburg unterstützte er die Naturforschende Gesellschaft des Osterlandes, hielt aber auch den Blick auf das Ganze gerichtet.
Sabine Hofmann
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