Modern Times – Bilder der 1920er Jahre
Was war das für eine verrückte Zeit, damals vor über 100 Jahren. Wir können uns kaum ein genaues Bild von diesen Jahren nach dem Ersten Weltkrieg machen, dieser Zeit voller Umbrüche, Erwartungen, der Euphorie des Neuanfangs, der Not und der Traumata. Und doch versucht die Ausstellung „Modern Times“ genau das: Ein Bild der 1920er Jahre aufzuzeigen und sogar mit der Gegenwart zu verbinden. Denn was den Geschichtsbüchern oft nicht gelingt, wird in den Bildern der Künstlerinnen und Künstler, ihren Formfindungen und Deutungen des Unbekannten und Unaussprechlichen, erfahrbar.
Und die Kunst damals war radikal: „Junge Menschen treten auf, Verkünder einen neuen Welt“ hieß es etwa im Umfeld von Otto Dix und Conrad Felixmüller in Dresden. Man kann sich schnell von dem revolutionären Pathos in der Kunst nach dem Ersten Weltkrieg anstecken lassen. Kunst war damals eine sehr ernste Sache, Künstlerinnen und Künstler wollten ihre Zeit nicht nur dokumentieren, sondern gestalten. Das Design für eine neue Zeit jenseits von Kaiser, Krieg und Kapitalismus musste entworfen werden, und zwar nicht nur am Bauhaus. Im Chaos der Zeit schlug die große Stunde der Kunst, die das Feld des Neuen als erstes beackerte. Überall im Land schlossen sich Künstlerinnen und Künstler zu linksrevolutionären Vereinigungen zusammen und engagierten sich politisch, viele von ihnen in der neu gegründeten Kommunistischen Partei. Nicht nur eine neue Kunst galt es zu denken und zu formen, sondern den „neuen Menschen“ und eine „neue Gesellschaft“ gleich mit.
Eine der bekanntesten grafischen Arbeiten Felixmüllers zeigt Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht nach ihrer Ermordung im Januar 1919 schwebend über den Dächern einer Stadt (Abb. 1). Wie zwei Märtyrer, die ihre Ideale mit dem Tod bezahlen mussten, stehen die beiden Figuren für eine Utopie einer neuen Gesellschaft, der auch Felixmüller in diesen Jahren folgte und die den Tod überdauern sollte.
Liebknecht hat seinen Arm um Luxemburg gelegt, die Köpfe der beiden sind vehement zum Himmel hin ausgerichtet, wo ein Stern auf den Kommunismus verweist. Die Lithografie erschien auch in der revolutionären Zeitschrift „Die Aktion“ (1919, 9. Jg., Heft 26/27).
Die Zeit um das Jahr 1920 gehört zu den Sternstunden der deutschen Kunst, in der sich die Relevanz von Kunst und Kultur neu offenbarte. Diese Kunst von Otto Dix, Käthe Kollwitz, Conrad Felixmüller, George Grosz, den Dadaisten u. v. a. ist vergleichbar mit der Kunst der Reformationszeit von
Albrecht Dürer und Lucas Cranach oder mit der Kunst 1968er, von Joseph Beuys und all den anderen. Hier ging es um etwas. Sternstunden der Kunst sind nie nur ästhetische, sondern immer auch geistige.
Doch das Geistige, der Mensch, mithin die Errungenschaften der modernen Zivilisation schienen in Gefahr. Der Erste Weltkrieg hatte gezeigt, zu welcher unfassbaren Brutalität der Mensch und seine Maschinen in der Lage waren. Der Glaube an immerwährenden Fortschritt wurde zerschmettert. Die Angst, dass der Markt und die Maschinen den Menschen zur Ware degradieren, war Realität geworden. Hier setzte die Kritik der Dadaisten am Bürgertum an. Und Charlie Chaplin, der der Freiburger Ausstellung den Titel verlieh, nannte diese Entwicklung lapidar wie ironisch „MODERN TIMES“.
Andere Künstlerinnen und Künstler wie Lea Grundig, Käthe Kollwitz oder Conrad Felixmüller zeigen die im Rausch des vermeintlichen Fortschritts Zurückgebliebenen, die Arbeiterinnen und Arbeitslosen, die Prostituierten, Bettler und Traumatisierten. Der Wohlstand war in den 1920er Jahren auf frustrierende Art ungerecht verteilt. Der Reichtum der einen brachte die Armut und den Unmut der anderen mit sich – mit fatalen Folgen in den Jahren ab 1930. „Kleiner Mann was nun?“ möchte man angesichts der Bilder in der Ausstellung mit Hans Fallada fragen.
Ein Gemälde des Dresdner Malers Wilhelm Lachnit zeigt ein Arbeitermädchen, das ganz offensichtlich schwanger ist und sich Sorgen um ihre Zukunft und die ihres ungeborenen Kindes macht (Abb. 2).
Mit scharfen Konturen setzt sich das hell erleuchtete Profil des Mädchens von dem dunklen Hintergrund ab. Selbst noch jugendlich verheißt ihr der gerundete Bauch kein Glück, sondern Beklemmung und eine Verantwortung, der sie vielleicht noch nicht gewachsen ist. Nur in der genauen, affektfreien Schilderung des Lebens sahen die Vertreterinnen und Vertreter der Neuen Sachlichkeit die Möglichkeit, auf eine Veränderung der Gesellschaft hinzuwirken. Lachnit engagierte sich wie viele seiner Künstlerfreundinnen und -freunde politisch und trat 1925 in die KPD ein.
Wie nah uns die 1920er Jahre wieder sind, zeigt sich nicht zuletzt an der heute wieder größer werdenden Schere zwischen Arm und Reich. In fast keinem Land in Europa ist das Vermögen so ungleich verteilt wie in Deutschland – und zwar nicht nur zwischen Ost und West. Das reichste Prozent der Bevölkerung besitzt über ein Drittel des Gesamtvermögens, während die untere Hälfte nur knapp über 2 Prozent des Vermögens verfügt. Vielleicht sollten diese Zahlen etwas mehr Berücksichtigung finden. Und vielleicht kann diese Ausstellung dafür ein Anlass sein.
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