Raubkunst gehört nicht ins Museum!
Provenienzforschung
Seit April 2018 werden am Lindenau-Museum Gemälde und Plastiken unter die Lupe genommen, die nach dem 30. Januar 1933 erworben wurden. Eine Förderung des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste in Magdeburg ermöglicht es, ihre Herkunft zu erforschen: So sollen einerseits Raubkunstwerke ausfindig gemacht und andererseits Objekte mit „weißer Weste“ tatsächlich als solche erkannt werden.
Provenienzforscherinnen und -forscher suchen den Weg nachzuzeichnen, den ein Werk zurücklegt, bevor es ins Museum gelangt. Ließe sich dieser vom Atelier an lückenlos rekonstruieren, hätten Fälscher schweres Spiel. Die „Sammlung Werner Jäger“ etwa, die Wolfgang Beltracchi erfand, um die Herkunft seiner vermeintlichen Pechsteins und Beckmanns zu legitimieren, hätte jeden aufmerksamen Provenienzforscher stutzig gemacht, lange bevor sich Beltracchi 2010 durch eine Unachtsamkeit selbst enttarnte: Die Sammlung fand in keinem einzigen historischen Dokument Erwähnung.
Jene Provenienzforschungsstellen, die in jüngster Zeit vermehrt an deutschen Museen eingerichtet werden, beschäftigen sich allerdings weniger damit, Fälschungen aufzuspüren. Ihre Aufgabe besteht vielmehr darin, Kunstwerke zu finden, die unrechtmäßig in die Sammlungen gelangten. Darunter fallen sowohl Werke, die ihren Besitzern während der NS-Zeit geraubt oder verfolgungsbedingt entzogen wurden, als auch Enteignungen im Zuge der Bodenreform oder aus kolonialen Kontexten.
Mögliches Raubgut aus der NS-Zeit
Objekte aus ehemaligen Kolonien gibt es im Lindenau-Museum kaum; Lindenaus ethnologische Sammlung befindet sich inzwischen im Naturkundemuseum Mauritianum. Gemälde, die durch die Bodenreform ins Museum kamen, konnten bereits an die Erben restituiert und anschließend mit Mitteln des Freistaates Thüringen zurückgekauft werden. Dazu gehören etwa die Porträts von Hans Carl Leopold (1778–1831) und Hans-Conon (1807–1874) von der Gabelentz, die heute in der Rotunde ausgestellt sind.
Die Provenienzforschung am Lindenau-Museum konzentriert sich daher in erster Linie auf NS-Raubkunst – eine Schwerpunktsetzung, die gerade in den ostdeutschen Bundesländern besonders angezeigt ist, gab es doch in der DDR anders als in der BRD keine Entschädigungsgesetzgebung für Vermögensverluste unter den Nationalsozialisten. Dabei war das Thema „Raubkunst“ 1945 keineswegs aus der Welt geschafft, im Gegenteil: Der Handel mit den fraglichen Objekten blühte nach dem Krieg erst richtig auf. Es gilt also, auch jene Kunstwerke zu untersuchen, die unter Hanns-Conon von der Gabelentz, der von 1945 bis 1969 Direktor des Lindenau-Museums war, erworben wurden.
Böckstiegels Bauer Peter Sussiek hat eine „weiße Weste“
Doch die Sorge, dass jedem Neuzugang aus dem fraglichen Zeitraum ein Makel anhaftet, ist unbegründet. In manchen Fällen lässt sich der Raubkunst-Verdacht schnell ausräumen, etwa bei solchen Arbeiten, die direkt vom Künstler oder von seinen Angehörigen erworben wurden. Ein prominentes Beispiel hierfür ist Peter August Böckstiegels farbenprächtiges Ölgemälde Der Bauer Peter Sussiek. Gemalt hat Böckstiegel das Porträt 1926 auf dem elterlichen Bauernhof im westfälischen Arrode, der zeitlebens der liebste Arbeits- und Rückzugsort des Künstlers war. Zur zweiten Heimat sollte ihm Dresden werden. 1913 ging er zum Studium an die dortige Kunstakademie, wo er sich mit seinem Kommilitonen Conrad Felix Müller anfreundete und bald auch dessen Schwester Hanna kennenlernte. Kurz darauf malte Felixmüller Hanna und August als Paar; nachdem Böckstiegel aus dem Krieg zurückgekehrt war, heirateten die beiden 1919.
Drei Jahrzehnte später war es Hanna, die das künstlerische Erbe ihres Mannes verwalten musste: Von der ersten umfassenden Einzelausstellung Böckstiegels, die im Sommer 1950 in Dresden stattfand und die danach in leicht veränderter Form in mehreren ostdeutschen Städten zu sehen war, konnte der Künstlers selbst nur noch den Anfgang miterleben. Am 22. März 1951 starb er in Arrode.
Hanns-Conon von der Gabelentz setzte sich dafür ein, dass die Abschiedsausstellung auch in Altenburg gezeigt wurde. Unter den ausgestellten Arbeiten befand sich das Porträt des Peter Sussiek, das danach als Leihgabe im Lindenau-Museum blieb. „[M]einerseits möchte ich nun der Hoffnung Ausdruck geben, daß es in absehbarer Zeit einmal möglich sein wird, das Bild käuflich zu erwerben“, schrieb Gabelentz im September 1951 an Hanna Böckstiegel, die erwiderte: „Ja, nun haben Sie einen neuen Wunsch, es ist sehr schön, daß zu hören. Ich wünschte nur immer wieder, mein Mann könnte Ihnen diese Briefe beantworten. Wir sind es bange, seine Werke so plötzlich zu verlieren, trotzdem ich weiß, sie sind nicht verloren.“ [1]
Am Ende sollte sie sich dafür entscheiden, dem Lindenau-Museum das Gemälde zu überlassen. Der Kauf wurde offenbar mündlich zwischen Gabelentz und Felixmüller vereinbart. In einem Brief des Museumsdirektors vom 27. September 1952 scheint alles schon „abgemacht“: Hanna Böckstiegel erhielt 3000 DM (Ost) dafür [2] – ein ungewöhnlich hoher Preis, der damals etwa einem durchschnittlichen Jahreseinkommen entsprach.
[1] Lindenau-Museum Altenburg, Akten Kauf Tausch Geschenke 1939–1953, Bl. 57 und 54.
[2] Ebd., Bl. 51.
Sarah Kinzel
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