Sergio Birga und der Expressionismus (Interview mit Annie Birga, Witwe des Künstlers)

EP: Die Begegnungen Ihres Mannes mit dem deutschen Expressionismus sind ein zentraler Bestandteil unserer Ausstellung. Woher kam sein Interesse an dieser Kunstströmung?

AB: Der Expressionismus war für ihn von grundlegender Bedeutung. Die leidenschaftliche, rebellische, neurotische Natur der Malerei und die Gewalt, die Gewalt des Strichs, faszinierten ihn. Er entdeckte diese Bewegung im Alter von 19 Jahren, als er in einer Buchhandlung ein Buch des Kritikers Waldemar George über den Expressionismus sah, auf dessen Cover Munchs Schrei abgebildet ist. Er informierte sich dann über die Künstler der »Brücke« und plante sogar, mit zwei befreundeten Malern die »Nuova Brücke« zu gründen. Sein Interesse an dieser Bewegung vertiefte sich dann während einer Ausstellung im Rahmen des Maggio Fiorentino 1964 im Palazzo Strozzi, wo er die deutschen Expressionisten und Künstler der »Brücke« vor Ort sehen konnte.

EP: Was hat Ihren Mann dazu veranlasst, die mittlerweile schon etwas betagten Expressionisten wie Erich Heckel, Otto Dix, Ludwig Meidner und Conrad Felixmüller in Deutschland und Oskar Kokoschka in der Schweiz aufzusuchen?

AB: Die tiefe Bewunderung, die er für diese großen Maler empfand, und der Wunsch, ihnen seine Arbeit vorzulegen. Er hatte einem seiner Lehrer in Florenz von seinem Interesse am Expressionismus erzählt. Dieser Lehrer, Michelangelo Masciotta, der auch Schriftsteller und Kritiker war und später Professor an der Akademie wurde, stand in brieflichem Austausch mit Kokoschka. Als Sergio ihm erzählte, dass er Kokoschka besuchen möchte, gab er ihm ein Empfehlungsschreiben mit. Und mit diesem Schreiben ist Sergio dann nach Villeneuve gegangen, um Kokoschka zu besuchen. […]

Sergio Birga, Ich und Kokoschka, 1966, Grafit auf Papier, Lindenau-Museum Altenburg

 

Aber ich frage mich auch: Wie konnte dieser junge Mann, der sehr schüchtern war […], den Mut haben, ohne Deutschkenntnisse zu verreisen, nur mit einem kleinen Wörterbuch in der Hand?

Ich bin selbst erstaunt, weil es nicht seine Art war, solche Dinge zu tun. Im späteren Leben war er nun wahrlich kein praktischer Mann. Ich war es, die praktisch war, die zehn Jahre lang die Zugfahrscheine gekauft hat. Das muss ihm also wirklich wichtig gewesen sein. Er hat es wohl aus leidenschaftlicher Begeisterung für die Malerei dieser Künstler getan. Für Sergio Birga waren alle großzügigen Empfänge und Zeichen der Wertschätzung eine Ehre und eine Freude, die ihm in Erinnerung blieben.

EP: Und was war der Zweck dieser Besuche? Wie haben sich diese abgespielt?

AB: Er hat die Künstler in ihren Ateliers besucht, mit ihnen über ihre Kunst gesprochen und sie manchmal bei der Arbeit beobachtet. Er brachte auch eigene Zeichnungen und Druckgrafiken mit und zeigte sie ihnen. Die Künstler ermutigten ihn oft, weiterzumachen. Meidner, den er 1966 besucht hatte, sagte ihm: "Sie werden im Leben viele Schwierigkeiten haben, weil Sie sehr originell sind." Im selben Jahr besuchte er auch Otto Dix zum zweiten Mal. Er ist für Sergio einer der größten Maler, von wahrlich überragendem Format. Er schenkte Birga eine Radierung und fertigte ein schnelles Porträt von ihm mit der Feder an.

 

Annie und Sergio Birga vor dem Eingang der Maison du Cygne in Six-Fours-les-Plages, 2011, Privatsammlung Annie Birga, Paris

 

Das Interview führte Emilia Predel am 25. Mai 2025 in Paris.

Das gesamte Interview finden Sie im Ausstellungskatalog "Sterne über Paris – Sergio Birga und die Moderne (Étoiles au-dessus de Paris – Sergio Borga et l´art moderne)" vom 20. Mai bis 10. August 2025 mit Texten von Sophie Eloy, François Michaud, Roland Krischke, Vincent Rudolf, Miriam Stadie, Maxime Préaud, Jean-Luc Chalumeau, Friedrich Schmidt, Yves Kobry, Amilia Pradel, Hg.: Roland Krischke für das Lindenau-Museum Altenburg, Dresden 2025; 143 S., zahlreiche Abbildungen in Farbe, gebundene Auflage, ISBN 978-3-95498-872-3, 28,00 € an der Museumskasse

Die Ausstellung des Lindenau-Museums „Sterne über Paris – Sergio Birga und die Moderne“ ist vom 20. Mai bis zum 10. August 2025 im Prinzenpalais des Residenzschlosses Altenburg zu sehen.

 

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