Strömungen – Gerhard Altenbourg und Thomas Ranft
Aus Anlass des 80. Geburtstages von Thomas Ranft am 11. Januar 2025 widmet das Lindenau-Museum Altenburg seiner künstlerischen und freundschaftlichen Beziehung zu Gerhard Altenbourg eine KUNSTWAND-Präsentation in der Kunstgasse 1. Unter dem Titel „Strömungen“ werden Werke beider Künstler einander gegenübergestellt.
Gerhard Altenbourg und Thomas Ranft lernten sich Anfang der 1970er-Jahre kennen, als Ranft an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig studierte. Die fast zwei Jahrzehnte währende Künstlerfreundschaft gründete sich unter anderem auf die Auseinandersetzung mit der Natur und die ständige Suche nach neuen künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten. Ranft brachte Altenbourg die Technik der Kaltnadelradierung nahe und druckte mit ihm die „Schnepfenthaler Suite“ (1987–1989).
Der Titel der Präsentation „Strömungen“ ist in zwei Richtungen lesbar: Einerseits verweist er auf die künstlerische Verarbeitung von Flüssen und Quellen, ihrer Dynamik, ihren akustischen Dimensionen und der verändernden Kraft des Wassers als Lebensraum. Andererseits verweist der Titel auf die Bewegtheit einer geistigen Grundhaltung. Ranft entwarf in seinen „Strömungen“ der Mappe „Spuren“ einen mikroskopischen Blick auf das Fließen kleinster Strukturen. Spürt man den Dimensionen von Zeitlichkeit nach, stellt man mit Altenbourg fest, dass sich nichts festhalten lässt und das Leben „im Fluss“ bleibt, solange es gelebt wird.
GERHARD ALTENBOURG
Gerhard Altenbourg (1926–1989) ist einer der bedeutendsten deutschen Zeichner und Grafiker des 20. Jahrhunderts. Der in Rödichen-Schnepfenthal (Thüringen) geborene Zeichner, Lithograf und Dichter Gerhard Ströch, der sich selbst den ortsverbundenen Künstlernamen Altenbourg gab, verbrachte den größten Teil seines Lebens in Altenburg. Seine Schwester Anneliese Ströch hatte einige Jahre nach dessen Unfalltod die Stiftung Gerhard Altenbourg gegründet, welche nach ihrem Tod die Verwaltung und Betreuung von Künstlerhaus, Garten und dem künstlerischen Nachlass übernahm.
Altenbourg war ein zurückgezogen lebender poetischer Künstler, der für seine Landschaften, Kopfbilder wie auch für groteske Zeichnungen und „phantastische Figurationen“ bekannt ist. Ihm wird eine Nähe zu abstrakten Künstlern wie Paul Klee oder Julius Bissier nachgesagt, jedoch zeigt sein Werk durchaus Gegenständliches. Auch menschlich wirkende Gestalten bevölkern seine Bilder. Seinen Werken gab er kunstvolle, ironische Titel.
Aufgrund seiner Vielseitigkeit, seiner präzisen, äußerst minutiösen Zeichen- und Drucktechniken und der Verwendung von höchst qualitätsvollen Materialien gelang ihm eine eigenständige Auseinandersetzung mit der Gegenwart. Über Galeristen im „Westen“ (Galerie Springer, Galerie Brusberg) zog er großes Interesse auf sich und erzielte früh Verkäufe seiner Grafiken. Damit verstieß er allerdings gegen die strengen kunstpolitischen Regeln der DDR. Sein Wirken wurde bis in die 1980er-Jahre hinein blockiert, etwa durch Verbote und das Schließen von Ausstellungen.
Altenbourgs künstlerisches Schaffen ist geprägt von seiner intensiven Auseinandersetzung mit der Natur. Seine, teils nächtlichen, Wanderungen durch die Landschaften Thüringens und Sachsens hatten einen starken Einfluss auf sein künstlerisches Schaffen und waren weit mehr als nur meditative Praxis oder Ausdruck persönlicher Freiheit. Seine druckgrafischen und zeichnerischen Werke zeugen von der Faszination für das Unbekannte und Geheimnisvolle, sie sind Ergebnis seiner Auseinandersetzung mit Natur und Vergänglichkeit. Ab Mitte der 1970er-Jahre nahm er auch Veranstaltungen in Chemnitz wahr. Die Galerie Oben widmete ihm 1981 eine Retrospektive.
THOMAS RANFT
Als 1945 Geborener gehört Thomas Ranft der Nachkriegsgeneration an. Nach der Schule hat er eine Ausbildung als Landschaftsgärtner absolviert und war anschließend berufstätig. Vier Jahre wirkte er außerdem am Arbeitertheater in Böhlen. Das Studium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst vollzog er erst von 1967 bis 1972 in Leipzig. Später zog er nach Karl-Marx-Stadt (Chemnitz), wo er die Produzentengalerie „Oben“ in Chemnitz initiierte und mitbegründete. Diese bot nicht-systemkonformen Künstlerinnen und Künstlern eine Plattform. Zudem machte er sich einen Namen als Mitbegründer der Künstlergruppe CLARA MOSCH.
Die Zusammenarbeit mit Carlfriedrich Claus, Michael Morgner und Gregor-Torsten Schade (Kozik) wie auch mit Ranfts damaliger Ehefrau Dagmar Ranft-Schinke war für ihn außerordentlich wichtig. Gemeinsam verwirklichten sie zahlreiche Plein-Airs und Aktionen, zu welchen Künstler aus der gesamten DDR zusammenkamen. Funktionären der DDR-Staatsorgane war dies allerdings nicht geheuer. Die Gruppe stand bald unter Beobachtung durch das Ministerium für Staatssicherheit. Auch die Fotos von Ralf-Rainer Wasse dienten der Bespitzelung. Später wurde Ranft Vorstandsmitglied der „Galerie Oben“ und nach der Wende Initiator des Vereins „Kunst für Chemnitz e.V.“. Auch an die Inbesitznahme und die mit einem gesellschaftlichen Großereignis für Chemnitz verbundene Bestandssicherung des „Heck-Art“-Hauses, die Ranft angestoßen hatte, muss erinnert werden. Im Dezember 2024 wurde ihm vom Ministerpräsidenten Michael Kretschmer das Bundesverdienstkreuz verliehen.
Obschon Gerhard Altenbourg und Thomas Ranft eine jahrelange Freundschaft verband und sie sich gegenseitig besuchten, blieb Gerhard Altenbourg Zeit seines Lebens freundlich distanziert beim vertrauten „Sie“.
STRÖMUNGEN
Als „Strömungen“ werden in der Kunst stilistische oder thematische Bewegungen bezeichnet. Hier spielt unter anderem auch eine gegenseitige „Beeinflussung“ zwischen Künstlerinnen und Künstlern unterschiedlicher Generationen hinein Auf Thomas Ranft wirkte offenbar die Auseinandersetzung mit Joseph Beuys, Fluxus und der Aktionskunst der 1960er- und -70er-Jahre entsprechend ein. Selbst wenn Beuys nicht vor Ort zugegen war so fand eine Reflexion der sich um ihn bewegenden geistigen Strömung definitiv
statt.
So war Beuys’ Besuch in der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik bei der DDR sehr bedeutsam. Dort besuchte Thomas Ranft am 23. Oktober 1981 die Ausstellungseröffnung von Beuys und Künstlerinnen und Künstlern der DDR. Noch 1985 erhielt Beuys ein Einreiseverbot in die DDR, das er in einem Interview kommentierte.
Beuys nahm die Sprengkraft seiner Kunst in jener Zeit selbst deutlich wahr, denn es gab in der DDR bereits Aktionsgruppen wie CLARA MOSCH, die über die Notwendigkeit der Überwindung von Gegensätzen offen sprachen und diskutierten. Man dachte auch über die Entwicklung zukünftiger Gesellschaftssysteme in Ost und West nach. Gerhard Altenbourg, der sich dieser Diskussion nicht im selben Maße stellte und die Distanz in Altenburg aufrechterhielt, mag einen gewissen Einfluss auf Thomas Ranft ausgeübt haben. Zwar hatte Ranft den älteren Meister an technische Methoden wie der Kaltnadelradierung herangeführt, jedoch dürfte die philosophische, bzw. poetische Herangehensweise Altenbourgs wiederum inspirierend auf Ranft gewirkt haben.
Altenbourgs künstlerisches Vorgehen war durch den Drang beseelt, „an die Quelle zu gehen“ und „Inspiration“ zu finden, sich im geistigen Austausch u. a. mit antiken Denkern „durchströmen“ zu lassen. Unter anderem ließ er sich inspirieren durch Texte des antiken Philosophen Plotin (verstorben 270 n. Chr.). In den „Enneaden“ erläuterte jener die Emanation (von lat. emanatio, Ausfluss, Ausfließen) am Beispiel des Fließens von Wasser aus einer Quelle. Hiernach gingen alle Dinge von einem höchsten Prinzip aus, die sich in verschiedenen Formen und Erscheinungsweisen offenbarten. Diese Philosophie eignete sich Altenbourg gewissermaßen als ein Grundprinzip an. Sie taucht etwa in seinen Landschaftsdarstellungen aber auch in der poetischen Betitelung seiner Werke auf.
Thomas Ranft wiederum entwickelte einen mikroskopischen Blick auf Strukturen. Für die Mappe „Spuren“ arbeitete er 1978 an den Radierungen „Strömungen I“ und „Strömungen II“. „Strömungen I“ zeigt Ranfts außerordentliche technische Raffinesse: Hauchfeine Linien, Liniengewirre und Verästelungen sind mit der Kaltnadel auf die Platte gebracht. Diese formieren sich zu reißenden Strömen in Hell-Dunkel-Kontrasten, die den Betrachter in ihren Sog hineinziehen. Im darauffolgenden Jahr schenkte Thomas Ranft den Druck Gerhard Altenbourg.
* Das Werk von Gerhard Altenbourg, ehemals Sammlung Rugo, wurden durch den Förderkreis „Freunde des Lindenau-Museums e.V.“ für das Lindenau-Museum Altenburg erworben mit Mitteln der Bundesrepublik Deutschland (Miteigentümerin), der HERMANN REEMTSMA STIFTUNG, der Kulturstiftung der Länder, der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen, der Sparkasse Altenburger Land; des Freistaates Thüringen, der Ernst von Siemens Kunststiftung sowie des Förderkreises „Freunde des Lindenau-Museums e. V.“
© Stiftung Gerhard Altenbourg / VG Bild-Kunst 2025
Themen
- 19. Jahrhundert
- 20. Jahrhundert
- Altenburg
- Altenburger Museen
- Altenburger Praxisjahr
- Altenburger Schlossberg
- Antike
- Architektur
- Archiv
- Archäologie
- Asta Gröting
- Ausstellung
- Ausstellung "Berliner Blätter"
- Ausstellung „Vier Winde“
- Bauhaus
- Berlin in den Zwanziger Jahren
- Bernhard August von Lindenau
- Bibliothek
- Burg Posterstein
- Conrad Felixmüller
- Depot
- Der Blaue Reiter
- digitallabor
- Entartete Kunst
- Enteignung
- Erdmann Julius Dietrich
- Erlebnisportal
- estrusker
- Exlibris
- Expressionismus
- Festrede
- frauen
- Frauen in der Antike und heute
- Gerhard-Altenbourg-Preis
- Gerhard Altenbourg
- Gerhard Kurt Müller
- Grafik
- grafische sammlung
- griechische Mythologie
- Hanns-Conon von der Gabelentz
- Heinrich Kirchhoff
- Heldinnen
- herman de vries
- Humboldt
- Insekten
- Integriertes Schädlingsmanagement
- Italien
- Jahresempfang
- Jubiläum
- Kolosseum
- Kooperationsausstellung
- Korkmodelle
- Kunst
- Kunstvermittlung
- Kunst von Kühl
- KUNSTWAND
- Kurs
- Künstler
- Künstlerin
- Lehmbruck
- Lindenau-Museum
- Marstall
- Messeakademie
- Museumsgeschichte
- Museumsnacht
- Museumspädagogik
- Mäzen
- Napoleon
- Neue Remise
- Objekt im Fokus
- Paul Klee
- Peter Schnürpel
- Phelloplastik
- Pohlhof
- Provenienz
- Provenienzforschung
- Restaurierung
- Restitution
- Rudi Lesser
- Ruth Wolf-Rehfeld
- Sammlung
- Skulptur
- Sonderausstellung
- Sphinx
- studio
- Studio Bildende Kunst
- studioDIGITAL
- Suermondt-Ludwig-Museum
- Vermittlung
- Video
- Videokunst
- Volontariat
- Walter Rheiner
- Weihnachten
- Werefkin
- Werkbetrachtung
- Winter
- Wissenschaft
- Wolf and Dog
- Wolf und Hund
- Zirkuswoche